Wenighösbach im Spiegel der Presse – 21.05.1889

Beobachter am Main vom 21.5.1889 

Wenighösbach, 20. Mai. Wanderversammlung. Auf vorausgegangene Einladung hatten sich gestern zu einer Wanderversammlung für das laufende Jahr die Mitglieder des Bienenvereins Goldbach-Hösbach wie auch sonstige Freunde der Bienen in dem Bergmann´schen Gasthause dahier eingefunden. Vom Vorstande des Vereins wurde die Versammlung mit imkerfreundlichem Gruße aufs herzlichste willkommen geheißen; hieran schloß sich ein Rückblick auf das vergangene Jahr. Dasselbe war leider von wehebringenden Folgen für die  Lieblinge des Bienenzüchters, da in den wenigen sonnigen Tagen des Vorjahres die mit vielem Volke angefüllten Bienenstöcke nur spärliche Winternahrung erringen konnten, so daß sie theils den Winter über wegen Mangel an Nahrung verhungerten, theils auch bei der großen Kälte im Monat März und April erfroren. So stehen nun die Bienenstände der Vereinsmitglieder dezimirt da und beklagen jetzt die Imker leider, daß sie den Mahnrufen des Vereinsorgans, der „Biene“, und der früheren Versammlungen, nahrungsbedürftige Völker selbst in den Trachtmonaten künstlicher Fütterung zu unterstellen, wenn solche ihren Bedarf nicht aus der Natur gewinnen können, nicht Folge geleistet haben. Sodann gab der Vorstand des Vereins den Mitgliedern über die Volksarmuth der überwinterten Völker genügende Aufklärung. Nachdem einige Mitglieder über die Art und Weise der Behandlung der im Winter eingegangenen Kästen und Körbe zur Wiederverwendung debattirt hatten, wurde sodann von einem Mitgliede der Vortrag „die Bienenzucht ist die Poesie der Landwirthschaft und der Bienenzüchter ein Wohlthäter der Menschheit“ vom Stapel gelassen. Anschließend wurden die Landwirthe ermuntert, für die Spätsommertracht der Bienen durch Pflanzung von Heide und Sommersprung Sorge tragen, wie auch die Felder mit dem rohten Klee, der sehr honigreich und jetzt momentan die ergiebigste Nahrungsquelle des Bienchens ist, etwas schonen zu wollen. Da die nächste Vereinsversammlung auch mit einer Verloosung von nützlichen und praktischen Bienengeräthschaften bedacht werden soll, so wurde über die  Verloosungsgegenstände Vorbesprechung gehalten. Von einem Vereinsmitgliede wurde sodann der Vorschlag gemacht, einige öde Flächen der Gemeinde dahier mit Akazien oder Linden zu bepflanzen und wurde dieser Vorschlag insoweit acceptirt, daß man Anfrage zum Bezug und Kostenbetrag solcher Stämmchen halten wolle. Herr Bürgermeister und Landrath Staab sprach sodann dem Verein und dessen Vorstande Namens der Gemeinde seinen Dank aus für die heutige Versammlung, welche der Gemeinde nicht nur zur Ehre, sondern auch zum Nutzen gereiche. Da in jeder Hinsicht das Resultat der Versammlung als ein günstiges begutachtet werden kann und der Austausch mancherlei Meinungen und Vorurtheilen für die Bienenzucht von förderndem Interesse war, so wird der genußreiche Nachmittag der Versammlung stets im besten Andenken verbleiben.

Anmerkung: Das Bienenjahr 1889 in Deutschland

1 | Rekord-Mai als Türöffner
Der Mai 1889 war der wärmste seit Beginn der Messungen: Ø 16 °C – fast vier Grad über dem damaligen Langzeitmittel. Gleichzeitig schüttete es im Schnitt 82 mm Regen; im trockenen Mai 1888 waren es nur 26 mm. Mehr Wärme + Feuchtigkeit bedeuteten üppigen Blütennektar – ideale Startbedingungen für die Frühtracht.

2 | Das Krisenerbe des Vorjahres
1888 hatte die Tracht kaum Futter gebracht. Viele Völker gingen hungrig in den Winter und erfroren im eiskalten März/April 1889 – ein Punkt, der auf fast allen Vereinsversammlungen laut beklagt wurde (vgl. Bericht Wenighösbach).

3 | Wenighösbach, 20. Mai 1889 – Stimmungsbild aus erster Hand
Im Bergmann’schen Gasthaus traf sich der Bienenverein Goldbach-Hösbach:

  • Ehrliche Bestandsaufnahme – dezimierte Stände, Hunger- & Frostverluste.
  • Selbstkritik – man habe Warnungen ignoriert, Völker selbst in Trachtwochen zuzufüttern.
  • Praxis-Tipps – leere Körbe reinigen, Fütterungskonzepte prüfen.
  • Trachtförderung – Akazien & Linden anpflanzen, Heideflächen sichern, Rotklee schonen.
  • Ausblick – Verlosung moderner Geräte, um schneller auf Magazin- und Schleuderimkerei umzusteigen.

Der Nachmittag endete trotz aller Sorgen optimistisch – „die Bienenzucht ist die Poesie der Landwirtschaft“ blieb das geflügelte Wort des Tages.

4 | Know-how-Schub im Buchhandel
Mit Johann Witzgalls Illustriertes Handbuch der Bienenzucht (534 Seiten, reich bebildert) bekam jeder Imker 1889 ein Praxis-Kompendium an die Hand – von Rähmchenbau bis Honigschleuder. Das Werk beschleunigte den Abschied von der alten Korb- hin zur Magazinimkerei.

5 | Was 1889 unterm Strich blieb

Vorjahr 1888Mai 1889Wirkung
Dürre, wenig Futter, hohe WinterverlusteRekordwarm & regenreichStarke Frühtracht, bessere Erträge
Kaum moderne TechnikHandbuch + VereinsinitiativenSchub für Magazin- und Schleuderimkerei
Vereinzelte ImkerDutzende Treffen (z. B. Wenighösbach)Austausch & gemeinsame Trachtprojekte

6 | Fazit
1889 war für deutsche Imker ein Wendepunkt: Auf die Not des Vorjahres folgte ein Traum-Mai, neues Wissen und der Mut, aktiv in Trachtbäume, Fütterung und moderne Gerätschaft zu investieren. Kurz: Ein Jahr, in dem es den Bienenvölkern deutlich besser ging – und die Imkerei Kurs auf die Zukunft nahm.

Historischer Text: Ferdi Sauer
Anmerkung: Stefan Sauer

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